Wein oder “KeinWein”?

Gilde verkostet Innovationen

Bensheim / Zwingenberg. Wein oder nicht Wein … Das war die spannende Frage bei einer einzigartigen Veranstaltung der Weingilde Bergstraße mit Getränke-Innovationen, die bisher nur wenige Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Forschung kannten. Hintergrund: Der Markt für alkoholfreie und alkoholreduzierte Alternativen wächst erkennbar über die Nische hinaus. Während der Weinbau weltweit unter einer Nachfrageschwäche leidet und der Pro-Kopf-Verbrauch auch in klassischen Weinländern wie Italien, Frankreich und Spanien sinkt, gewinnt das Segment der alkoholfreien Weine und Schaumweine an Bedeutung – auch in Deutschland. Forscher sehen die Bundesrepublik als größten Markt mit der stärksten Alkoholfrei-Dynamik in Europa.

Eine aktuelle Studie zeigt: “Die Hälfte der Befragten wünscht sich mehr No- und Low-Produkte, bei den 18- bis 29-Jährigen sogar zwei Drittel.” Interessant: Unter den Gästen der Weingilde war auch die amtierende Weinkönigin des Anbaugebietes Bergstraße, Chiara I. Sie gehört selbst zur Generation der jungen Leute mit Experimentierfreude und häufiger Skepsis mit Blick auf den mit klassischen Weinen meist verbundenen Alkoholkonsum. An traditionelle Weine gewöhnte Verbraucher lehnen alkoholfreie Produktangebote bislang oft strikt ab. Da Alkohol im Wein ein Geschmacks- und Aromaträger ist, hatten alkoholreduzierte Varianten bei Vergleichstests zunächst meist mäßig zufriedenstellend abgeschnitten.

Die Verkostung bei der Weingilde Bergstraße dokumentierte: Produzenten lernen dazu. Und es kommen neue Produkte auf den Markt – unterstützt durch Wissenschaft und Forschung.

Getränke mit Aromen aus Weinblättern

Erstmals konnten – bei einer solchen Verkostung – auch Getränke probiert werden, deren Grundlagen in Zwingenberg an der südhessischen Bergstraße wissenschaftlich erforscht wurden. Hintergrund: Ein multidisziplinäres Konsortium aus Biotechnologen, Önologen, Winzern und Nachhaltigkeitsexperten hatte Anfang 2024 mit finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) ein Innovationsprojekt gestartet. Ziel dieses Projektes (Projektname: „SusBev“ – „Sustainable Beverages“) ist das Verwerten und Fermentieren von landwirtschaftlichen Rest- und Nebenströmen aus dem Weinbau zu gesunden und schmackhaften Getränken und Nahrungsmitteln.

Fermentiertes Getränk auf der Basis von Weinblättern – aus Wissenschaft und Forschung: Spannende Verkostung der Weingilde Bergstraße in Bensheim. Fotos: Robert G. Eberle

Wolfgang W. Schäfer (TVC) erklärt die Weinblätter-Ernte für die Getränke-Innovation “KeinWein”.

“Weinkultur pflegen – gemeinsam Neues entdecken”

Konkret: Bisher nicht als Wertstoffe genutzte Blätter und Triebe von neuen, an den Klimawandel angepassten Rebsorten, werden genutzt, um weinähnliche Getränke herzustellen. Die Weingilde Bergstraße hat Projekt-Beteiligte nach Bensheim eingeladen – zum Beispiel Dr. Alice Kleber von der Biotechnologie-Unternehmensgruppe BRAIN Biotech AG. Sie brachte zur Probe fermentierte Getränke auf der Basis von Weinblättern mit (Alkoholgehalt: 0,8 %) – in einer stillen und einer prickelnden Variante. Zudem stellte Wolfgang W. Schäfer vom Beratungsunternehmen Tropical Viticulture Consultants (TVC) die Produktneuheit “KeinWein” vor: Eine (mit den Forschungserkenntnissen in Zwingenberg entwickelte Getränke-Innovation, die nun auf den Mark kommt. Interessant: Die „Kein Wein GmbH“ ist ein Ableger eines renommierten VDP-Weingutes in Gundheim (Rheinhessen). Für dieses Getränk werden unbehandelte junge Blätter regionaler Rebsorten im Mai / Juni im Wonnegau geerntet. Durch ein Bad in kaltem entmineralisiertem Wasser werden die typischen Aromen und natürliche Säure der Rebe extrahiert. Diese Infusion darf kontrolliert reifen und wird dann mit dem Saft der im Herbst ebenfalls aus eigenem Anbau geernteten Trauben verfeinert. Das Getränk schmeckt nicht wie ein typischer Wein – enthält aber Aromen und natürlichen Inhaltsstoffe der Weinrebe und verbindet diese in einem neuen Geschmackserlebnis.

Spannende Verkostung der Weingilde Bergstraße in Bensheim: Der Gilde-Vorstand (hier Manfred Berg, links) will die Entwicklungen in der Getränkebranche weiter aufmerksam beobachten.

Probiert werden konnten bei dieser – seit mehr als einem Jahr vorbereiteten – Verkostung der Weingilde zudem entalkoholisierte Weine aus der Region Bergstraße, aus dem Odenwald, der Pfalz, dem Rheingau und: Ein 2024er aus Katalonien (Spanien). Dessen Geschmack war in einem Vergleichstest von entalkoholisierten Weißweinen als einziger mit “gut” bewertet worden. “Wir werden diese Entwicklungen weiter gemeinsam und aufmerksam beobachten“, kündigen Manfred Berg und Robert Eberle vom Weingilde-Vorstand an. Die Gilde setze sich auch künftig für Weinkultur und ihre Kulturlandschaften ein – „offen für alle, die bei verantwortungsbewusstem Konsum bereit sind, Neues zu entdecken und Wert auf Nachhaltigkeit legen“. Bei allem Engagement für Weinkultur und -Traditionen betrachte es die Weingilde Bergstraße als Pflicht, sich sorgfältig mit der Dynamik auf dem Markt für alkoholfreie und -reduzierte Alternativen zu befassen. Eberle verwies auf das von einer Lebensmittel-Fachzeitschrift gekürte “Produkt des Jahres 2026”: Ein “Sparkling-Mix”, der unter der Verkehrsbezeichnung “aromatisiertes weinhaltiges Getränk” erfolgreich junge Zielgruppen anspricht. Eberle: “Die Weinkultur wird nicht untergehen, sich aber weiterentwickeln. Das wünschen wir auch Winzerinnen, Winzern und Weinbaubetrieben.” 

Spannende Verkostung der Weingilde Bergstraße in Bensheim – auch mit “KeinWein”.
  •  Die Weingilde Bergstraße ist Mitglied der Bewegung “Wine in Moderation”, die für Wein mit Maß und Stil wirbt: Es geht um maßvollen Genuss als Teil eines gesunden Lebensstils. Wein ist nach Überzeugung der Gilde-Mitglieder ein hohes traditionsreiches Kulturgut und für viele fester Bestandteil eines guten Essens. Gäste sind bei Weingilde-Veranstaltungen herzlich willkommen; die Gilde nimmt weitere neue Mitglieder auf, die sich für Wein-Kultur interessieren (und bereit sind, auch selbst einmal eine interessante Probe zu organisieren).

Aroma-Vielfalt aus Weinblättern?

Nicht jedem Weinfreund wird bekannt sein, dass in Weinblättern ebenso sortentypische Aromen zu finden sind wie in den Weinbeeren. Gelänge es, diese durch geeignete Verfahren herauszulösen, wäre ein Weg frei, aromatische Getränke herzustellen, die alkoholfreien Weinen vergleichbar sind. Alkoholfrei deswegen, weil keine alkoholische Gärung erforderlich ist, die bei der traditionellen Weinbereitung die Aromen aus den Weinbeeren extrahiert.

An der Hessischen Bergstraße läuft aktuell ein Projekt mit dieser Zielsetzung.

Die wissenschaftliche Koordination liegt bei der Brain Biotech AG (Zwingenberg). Dort werden Mikroorganismen, Hefestämme, selektiert und für eine Fermentation der Weinblätter optimiert. Als Partner zur Bewertung der technischen Machbarkeit ist die Provadis Hochschule in Frankfurt eingebunden.

Entscheidend ist die Qualität der Blätter und Triebe. Die Rebstöcke sollen möglichst wenig gespritzt sein, deshalb wird auf pilzwiderstandsfähige Sorten zugegriffen. Lieferant ist das Weingut Eva Vollmer aus Mainz. Begonnen wurden die Experimente in Zwingenberg mit der Rebsorte Muscaris. Die besten Ergebnisse werden offenbar mit sehr jungen Pflanzenteilen erreicht.

Das Projekt der drei Partner wird durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit 745.000 € gefördert. Es gehört zu einem Gesamtpaket “Sustainable Beverages”.  – Für Weinbaubetriebe könnte es zusätzlichen Nutzen dadurch bringen, dass zum einen weniger Abfall entsteht und zum anderen eine neue Produktlinie aufgebaut werden kann, die zeitlich von der traditionellen Weinbereitung entkoppelt ist. Der Laubschnitt ist im Frühsommer generell erforderlich. Und durch die Produktion alkoholfreier weinähnlicher Getränke wird ein zunehmend stärker werdender Trend aufgegriffen.

Die Weingilde Bergstraße wird diese und andere Forschungsprojekte zur Suche nach neuen Aromen und alkoholfreien Getränken auf Traubenbasis im Jahr 2025 zum Thema machen – wenn fundiertere und schmeckbare Ergebnisse vorliegen. rt

Forschung: Aromen – nicht nur aus den Trauben, sondern auch aus den Weinblättern?

Foto: rge