Wein oder nicht Wein?

Hervorgehoben

Gilde verkostet alkohol-arme Innovationen

Bensheim / Zwingenberg / Gundheim. Steigende Nachfrage contra pure Ablehnung: Entalkoholisierter Wein erlebt einen enormen Aufschwung – doch von traditionellen Weinen verwöhnte Verbraucher lehnen alkoholfreie Produktangebote bislang oft strikt ab. Da Alkohol im Wein ein Geschmacks- und Aromaträger ist, hatten alkoholreduzierte Varianten bei Vergleichstests zunächst meist mäßig zufriedenstellend abgeschnitten.

Doch die Produzenten lernen dazu. Während der Weinbau weltweit unter einer Nachfrageschwäche leidet und der Pro-Kopf-Verbrauch auch in klassischen Weinländern wie Italien, Frankreich und Spanien sinkt, wächst das Segment der alkoholfreien Weine und Schaumweine. Marktforscher sehen Deutschland als größten Markt mit der stärksten Alkoholfrei-Dynamik in Europa. Gründe für die Weingilde Bergstraße, sich mit dieser Entwicklung, mit aktuellen Forschungsergebnissen aus der Region und mit neuen Produkten intensiver zu befassen: Bei einer bislang einzigartigen Verkostung am Freitag, dem 28. November 2025 (Beginn: 19 Uhr) in Bensheim.

Getränk aus Weinblättern wird verkostet

Erstmals können – bei einer solchen Verkostung – auch Getränke probiert werden, deren Grundlagen an der südhessischen Bergstraße wissenschaftlich erforscht wurden. Hintergrund: Ein multidisziplinäres Konsortium aus Biotechnologen, Önologen, Winzern und Nachhaltigkeitsexperten hatte Anfang 2024 mit finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) ein Innovationsprojekt gestartet. Ziel dieses Projektes (Projektname: „SusBev“ – „Sustainable Beverages“) ist das Verwerten und Fermentieren von landwirtschaftlichen Rest- und Nebenströmen aus dem Weinbau zu gesunden und schmackhaften Getränken und Nahrungsmitteln.

Weine sind alkoholhaltige Getränke aus Trauben. Doch auch in den Blättern der Reben stecken Aromen, die sich für Getränke eignen.       
           Foto: Robert G. Eberle

Weine sind alkoholhaltige Getränke aus Trauben. Doch auch in den Blättern der Reben stecken Aromen, mit denen sich Getränke produzieren lassen. Foto: Robert G. Eberle

Konkret: Bisher nicht als Wertstoffe genutzte Blätter und Triebe von neuen, an den Klimawandel angepassten Rebsorten, werden genutzt, um weinähnliche Getränke herzustellen. Die Weingilde Bergstraße hat Projekt-Beteiligte nach Bensheim eingeladen. So werden bei der Verkostung auch alkoholfreie Getränke mit Aromen aus jungen Weinblättern präsentiert, die nun auf den Markt kommen.

“Weinkultur pflegen – gemeinsam Neues entdecken”

Abgefüllt und vertrieben wird eines der innovativen Produkte von einem Weingut aus Gundheim (Rheinhessen), das dem Verband Deutscher Prädikatsweingüter (VDP) angehört. „Dies dokumentiert, daß sich auch renommierte Weinbaubetriebe mit solchen Innovationen beschäftigen. Auch wenn manche Winzer und Weinfreunde alkoholfreie Produkte noch immer mit großer Skepsis sehen: Unsere Weingilde lädt Interessierte herzlich ein, diese Entwicklungen gemeinsam und aufmerksam zu beobachten“, erklärt Gilde-Vorsitzender Manfred Berg. Die Gilde setze sich auch künftig für die Weinkultur und ihre Kulturlandschaften ein – „offen für alle, die bei verantwortungsbewusstem Konsum bereit sind, Neues zu entdecken und Wert auf Nachhaltigkeit legen“.

Wer bei der Probe der alkoholfreien Getränke mit den Aromen von Weinblättern und dem Vergleich mit sieben entalkoholisierten und alkoholreduzierten Weinen am 28. November dabei sein möchte (Kostenbeitrag: 20 Euro), kann sich anmelden bei: weingilde-bergstrasse.de. Bei der Verkostung wird auch ein entalkoholisierter Weißwein aus Muskatellertrauben in die Probiergläser kommen: Dieses Produkt hatte in einem Vergleichstest, in dem der Geschmack aller anderen Weine als “wenig berauschend” bewertet wurde, bemerkenswert gute Noten erhalten.   

  •  Die Weingilde Bergstraße ist Mitglied der Bewegung “Wine in Moderation”, die für Wein mit Maß und Stil wirbt: Es geht um maßvollen Genuss als Teil eines gesunden Lebensstils. Wein ist nach Überzeugung der Gilde-Mitglieder ein hohes traditionsreiches Kulturgut und für viele fester Bestandteil eines guten Essens. Gäste sind bei Weingilde-Veranstaltungen herzlich willkommen; die Gilde nimmt weitere neue Mitglieder auf, die sich für Wein-Kultur interessieren (und bereit sind, auch selbst einmal eine interessante Probe zu organisieren).

Aroma-Vielfalt aus Weinblättern?

Nicht jedem Weinfreund wird bekannt sein, dass in Weinblättern ebenso sortentypische Aromen zu finden sind wie in den Weinbeeren. Gelänge es, diese durch geeignete Verfahren herauszulösen, wäre ein Weg frei, aromatische Getränke herzustellen, die alkoholfreien Weinen vergleichbar sind. Alkoholfrei deswegen, weil keine alkoholische Gärung erforderlich ist, die bei der traditionellen Weinbereitung die Aromen aus den Weinbeeren extrahiert.

An der Hessischen Bergstraße läuft aktuell ein Projekt mit dieser Zielsetzung.

Die wissenschaftliche Koordination liegt bei der Brain Biotech AG (Zwingenberg). Dort werden Mikroorganismen, Hefestämme, selektiert und für eine Fermentation der Weinblätter optimiert. Als Partner zur Bewertung der technischen Machbarkeit ist die Provadis Hochschule in Frankfurt eingebunden.

Entscheidend ist die Qualität der Blätter und Triebe. Die Rebstöcke sollen möglichst wenig gespritzt sein, deshalb wird auf pilzwiderstandsfähige Sorten zugegriffen. Lieferant ist das Weingut Eva Vollmer aus Mainz. Begonnen wurden die Experimente in Zwingenberg mit der Rebsorte Muscaris. Die besten Ergebnisse werden offenbar mit sehr jungen Pflanzenteilen erreicht.

Das Projekt der drei Partner wird durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit 745.000 € gefördert. Es gehört zu einem Gesamtpaket “Sustainable Beverages”.  – Für Weinbaubetriebe könnte es zusätzlichen Nutzen dadurch bringen, dass zum einen weniger Abfall entsteht und zum anderen eine neue Produktlinie aufgebaut werden kann, die zeitlich von der traditionellen Weinbereitung entkoppelt ist. Der Laubschnitt ist im Frühsommer generell erforderlich. Und durch die Produktion alkoholfreier weinähnlicher Getränke wird ein zunehmend stärker werdender Trend aufgegriffen.

Die Weingilde Bergstraße wird diese und andere Forschungsprojekte zur Suche nach neuen Aromen und alkoholfreien Getränken auf Traubenbasis im Jahr 2025 zum Thema machen – wenn fundiertere und schmeckbare Ergebnisse vorliegen. rt

Forschung: Aromen – nicht nur aus den Trauben, sondern auch aus den Weinblättern?

Foto: rge