Was wir vielleicht noch nicht gewußt haben – Folge 8

  1. Darmstadt, die Weinhauptstadt der Bergstraße! Wie das? Überall in Darmstadt und Umgebung wurde seit dem Mittelalter Wein angebaut. Er gehörte zum Alltag der Bürger, er war ein Volksgetränk. Es gab keine offizielle Amtshandlung, keinen Vertragsabschluß, keinen Grenzgang ohne Weintrunk. Wein gehörte auch als Teil des Lohns zur Bezahlung von Handwerkern, Hofbediensteten, Pfarrern und Lehrern. Erstmals erwähnt wurden Darmstädter Weingärten im Unterschied zu den heute bekannten Bergsträßer Weinstädten allerdings erst im Jahre 1375. Damals verlieh Graf Wilhelm II. von Katzenelnbogen seiner Gattin Else Besitz mit Weingärten in Darmstadt. In der ältesten erhaltenen Rechnung aus dem Jahr 1401 finden sich Angaben über den Weinbau in Darmstadt, Bessungen und Klappach; auch Weinberge in Zwingenberg, Lichtenberg, Schaafheim und Rüsselsheim wurden erwähnt. In Darmstadt und Bessungen waren etwa 415 Morgen Land mit Reben bestückt, das entspricht ca 105 ha. Im 30-jährigen Krieg gab es fast keinen Weinbau mehr um DA; so langsam entwickelten sich wieder Weingärten um Rosen- und Mathildenhöhe. Sie zogen sich dann von Norden nach Westen bis zur heutigen Waldkolonie. Die Saalbaustraße zwischen Elisabethen- und Adelungstraße hieß bis Mitte des 19. Jdts. “Weinbergstraße” , auf der Mathildenhöhe erinnert die Wingertsbergstraße (damals die beste Lage) an den Weinbau und in der Waldkolonie gibt es heute noch den “Traubenweg”. Nur der Datterich in der Darmstädter Lokalposse von Ernst Elias Niebergall aus dem Jahr 1841 verschmähte den Darmstädter oder Eberstädter Rotwein, er trank lieber den Assmannshäuser. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts befand sich der Weinbau auf dem Rückzug. Gründe waren vor allem die Ausdehnung der Wohnbebauung, vermutlich auch die höheren Ansprüche an die Weinqualität, denen die Reben in Darmstadt und Umgebung nicht mehr gerecht werden konnten. In Bessungen hielt sich der Weinbau noch am längsten – bis 1870. Von all dieser Herrlichkeit ist im Darmstädter Stadtgebiet außer einer winzigen Fläche nichts übrig geblieben, denn im Jahre 1995 wurde auf einer Brachfläche im südwestlichen Bereich des Polizeipräsidiums mit Genehmigung des Weinbauamtes Eltville ein Weinberg mit 99 Weißburgunder-Reben angelegt, der jährlich 200–300 Flaschen liefert. Der als Spezialprävention bezeichnete Wein wird bei Veranstaltungen des Präsidiums, zu Krankenbesuchen und Ehrungen verwendet. Damit dürfte das Polizeipräsidium Südhessen seiner eigenen Einschätzung nach die einzige Polizeidienststelle der Welt mit eigenem Weinberg sein. Der Ausbau erfolgt bei der Winzergenossenschaft Groß-Umstadt. Neben Eberstadt war Bessungen der am dichtesten mit Reben bestandene Stadteil Darmstadts. Anfang 1900 wurde in Heppenheim der hessische Rebmuttergarten als Vorzeige-einrichtung angelegt und in den 30er Jahren das Gebäude dazu errichtet. Aber auch in Darmstadt im Orangeriegarten befand sich eine Rebveredlungsstation mit Rebschule. 1928 standen darin 137.000 veredelte Reben. Am Böllenfalltor – dem heutigen Fußballplatz der Darmstädter Lilien – war im gleichen Jahr eine Rebschule mit gar 700.000 Veredlungen. Heute existiert nur noch ein Rebenveredlungsbetrieb, die Rebschule Antes in Heppenheim. Seit 2004 läßt der Eberstädter Bürgerverein im alten Weingebiet am Wolfhartweg die alte Weinbau-Tradition wieder aufleben. Er darf Wein produzieren, aber nur für den Eigenverbrauch und nur als Tafelwein.
  2. Der Wein und sein Alkohol: Um durchschnittlich 1 Volumenprozent pro Jahrzehnt ist der Alkoholgehalt von Wein seit den 1980er Jahren angestiegen. Wesentliche Ursache dafür ist der Klimawandel mit höheren Temperaturen und mehr Sonnenstunden, die die Zuckerproduktion in den Weintrauben anheizt. Den optimalen Zeitpunkt für die Lese zu bestimmen wird immer schwieriger und dadurch hat auch der über lange Zeit als Reifeparameter geltende Öchslegrad, also das im Wesentlichen durch Zucker verursachte Mehrgewicht des Mostes gegenüber Wasser seine einstige Bedeutung verloren. Wenn der Winzer heute die höheren Alkoholwerte nicht haben will, muß er früher lesen und riskiert dabei grüne Aromen, harsche Säure und bei Rotwein kantige Tannine. Er kann auch andere Wege gehen: z.B. dem Standort und Klima angepaßte Rebsorten oder Weinberge mehr in nordöstlicher als in südwestlicher Ausrichtung anlegen. Das Können des Winzers wird immer stärker gefordert.

Quellen: Darmstadt Stadtlexikon, Antes in Bergsträßer Weinbauchronik 1/21, Weinhalle, eigene Recherche