Was wir vielleicht noch nicht gewußt haben – Folge 10

  • Bei der letzten Weinverkostung der Weingilde mit Weinen aus der Region Nahe waren fast alle Weine spontan vergoren. Da tauchen mal wieder viele Fragen auf.
  • Was ist Spontanvergärung? Warum eigentlich? Schmeckt man das? Welchen Einfluß hat das auf den Wein?
  • Unter Spontangärung versteht man die Gärung, die im natürlichen Prozeß von selbst eintritt, durch die Hefen und Mikroorganismen, die der Most aus dem Weinberg mitbringt. Früher (bis in die 70er Jahre) kannte man nur diese Art von Gärung. Heute werden die Moste vielfach stark vorgeklärt und Reinzuchthefen zugesetzt, die in vielen Varianten am Markt angeboten werden.
  • Die Gärung verläuft dann in aller Regel zwar problemfrei, und der Winzer kann sein Risiko minimieren, allerdings entstehen damit auch uniformere Weine. Viele Weinliebhaber schwärmen daher wieder von der Spontangärung und Terroir-geprägten Weinen. Macht sie eine Spontangärung wirklich kräftiger und vielschichtiger, oder ist das mehr Glaubensache, wenn nicht gar Scharlatanerie? Schon länger arbeiten engagierte Winzer die Terroir-Prägung ihrer Weine heraus. Gemeint sind die Geschmackseinflüsse des Boden, des tieferen Untergrunds, der Feuchtigkeit, der Hangneigung, dem Kleinklima usw. So entstand der Versuch, auch den natürlichen Hefen, welche die Trauben aus dem Weinberg mitbringen, wieder mehr prägenden Einfluss zu geben.
  • Alle diese Mikroorganismen kommen reichlich in der Natur vor und gelangen auf den Trauben und mit dem Most in den Keller. Auch dort leben dem Auge verborgene Hefen in großer Zahl und prägen den Weinstil eines Betriebes mit. Ein sich selbst überlassener Most fängt daher spontan an zu gären. So war es über Jahrhunderte. Heute sind etwa 700 Hefearten mit 5000 Stämmen bekannt. Die wichtigste und erwünschte Hefe, welche schöne fruchtige Weine bringt, ist die Saccharomyces cerevisiae, von der es wiederum viele Spielarten gibt, eben die Weinhefe, aber auch Bier- und Backhefen.
  • Reinzuchthefen werden seit über dreißig Jahren in großer Variationsbreite mit verschiedenen Geschmacksprofilen angeboten. Dieses Vorgehen bringt hohe Sicherheit bei der Gärführung und saubere, fruchtige und bekömmliche Weine, die rasch trinkfertig sind. Daher ist die Vergärung mit Reinzuchthefen heute weithin üblich. Leider war aber auch festzustellen, dass diese Weine weniger Individuelles zeigen und vergleichsweise rascher altern. So entstand erneut eine lebhafte Diskussion um die Spontangärung und die schönen Geschmacksprofile, die durch sie im Laufe einer längeren Reifung entstehen.
  • Was nützt es aber dem Winzer, wenn der spontan vergorene Wein zwar anders, dafür aber Kunden nicht besser schmeckt? Hier muß der Winzer entscheiden, welchen Weg er gehen will.
  • Und unerfahren geht er ein Risiko ein, wenn das Erntegut nicht ganz gesund ist oder die hygienischen Bedingungen im Betrieb nicht penibel eingehalten werden. Als die Spontanvergärung in Mode kam und die Winzer noch nicht so geübt waren, fand man in spontan vergorenem Wein häufig den sogenannten Böckser. Dabei verursachen schwefelhaltige Verbindungen Fehlgerüche nach faulen Eiern, Gummi oder Zwiebeln im Wein. Auch Lösungsmittelgeruch, Essiggeschmack oder medizinische Noten können spontan vergorenen Wein ungenießbar machen.
  • Die Weingilde kennt aus ihren vielen Verkostungsreihen diese Problematik und da sind schon viele heftige Diskussionen entstanden. Heute bekommen die Winzer aber Empfehlungen an die Hand, wie eine Spontanvergärung besser glücken kann, um das Risiko schlechter Weine zu minimieren.. Dazu gehört z.B. auch eine ständige Überwachung des Gärprozesses – wirklich spontan passiert dann im Keller aber nichts. Der Wein muß eine Geschichte erzählen mit dem Winzer, der Region, seinem Wachstum, seinem Boden und wenn alles stimmig ist, dann gehen Wein und Kunde eine Verbindung ein – egal, welche Hefe.

Quellen: bonvinitas, Süddeutsche Zeitung, Weinhalle, eigene Recherche