Weine – jahrzehntelang lebendig!

“Weine – jahrzehntelang lebendig” … Damit ließen sich gut 20 Freunde der Weingilde Bergstraße konfrontieren – zunächst mit vielen Vorbehalten, denn Richard Hartmann präsentierte nur deutsche Weißweine und zum Teil auch noch trockene. Der Kenner gereifter Gewächse sammelt Weine, die für ihn eine biographische Bedeutung haben. So machen es auch nicht wenige Weinfreunde mit Einlagerungen aus Geburts- und Hochzeitstagen. Wichtig für die Stabilität der extraktreichen Weine sind eine ausgewogene Balance von Restsüße, Säure und Tanninen. Dazu kommt die gute Lagerung ohne Lichteinflüsse bei stabiler Temperatur sowie der Möglichkeit, etwa alle 20 Jahre einen Korkwechsel durchzuführen. Wichtig ist dabei auch der Blick auf Winzer mit viel Erfahrung.

Was es zu verkosten gab, überrasche dann alle Teilnehmer:innen. Kaum die typisch Rheingauer Petroltöne, keine irritierenden Firnenoten – Weine, die bei Blindverkostungen oftmals weitaus frischer und jünger eingeschätzt wurden. Eröffnet wurde die Probe von einem 2020er Rheingauer Riesling Johannishof, dem eine große Zukunft testiert wird und der 2022 in Eberbach ersteigert wurde. Bei ihm lernten die Weinfreunde den NFC (Non-Fungible-Token)-Chip kennen, einer elektronischen Fälschungssicherung, wie er seit wenigen Jahren in Kloster Eberbach eingesetzt wird.

Fünf der Weine stammten aus der Kollektion von Hans-Josef Becker in Walluf – von Insidern auch „Schnorres-Becker“ genannt. Sein 13 Hektar großes Weingut wurde bereits 1893 gegründet. Schon vor der Zertifizierung als Bioweingut 2011 war der bald 80jährige Becker extrem naturverbunden unterwegs. Weinberge seien eine befristete „Leihgabe der Natur.“ Die Rieslinge wurden nach 12 Stunden Maischestandzeit schonend gepresst und im Holzfass mit eigenen Hefen vergoren. „Dem Wein müsse man seine Zeit lassen, er wisse schon, was zu tun ist.“ Wenn es Eingriffe gibt, dann nur im Maische- oder Moststadium. Ein Wein kann dann schon mal sechs Monate „weiterblubbern“, bis die Vergärung beendet ist. Im Weinberg wird auf mineralische Dünger und Herbizide verzichtet. Radikale Ertragsreduzierung tut ihr Übriges. Auch eine Filtration unterbleibt: „Filtration ist nur etwas für eilige Gemüter.“

In die Runde der 2002er Weine wurde auch noch ein Gräfenberg vom Weingut Robert Weil eingereiht, der ebenfalls frisch daherkam, aber vielleicht doch in der Komplexität mit dem Becker-Wein nicht mithalten konnte. Den Abschluss bildeten mit einer 1983er Ruländer Auslese aus Trier und einer 2016er Durbacher Scheurebe Auslese zwei andere Rebsorten für hervorragende Süßweine. Eine außergewöhnliche Probe!

Text: rh/mb / Foto: rge